Der Weg eines Buches: vom Auktionshaus bis zum Magazin
Bibliotheken haben die Aufgabe, Wissen zu sammeln, zu bewahren und zu vermitteln. Je nach Aufgabe der Bibliothek erfolgt dies in unterschiedlichen Bereichen und Umfängen. Die SUB Göttingen sammelt und bewahrt im Bereich Spezialsammlungen vornehmlich Handschriften, Nachlässe mit Bezug zur Universität Göttingen und Druckwerke, vor allem aus dem 18. Jahrhundert für die Sammlung Deutscher Drucke. Für fünf Monate konnte ich die Spezialsammlung im Rahmen meines Praxissemesters, das Teil meines Studiums der Bibliotheks- und Informationswissenschaften an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig ist, näher kennenlernen. Während meines Praktikums habe ich viele der Stationen durchlaufen, die auch ein Buch nimmt, bevor Nutzende mit ihm arbeiten können. Diesen Weg möchte ich in diesem Beitrag nachzeichnen.
Erwerbung
Um an potenzielle neue Erwerbungen zu kommen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Drucke und Handschriften können auf Auktionen, in Antiquariaten oder von privaten Anbietern erworben werden, Nachlässe werden meist von den Hinterbliebenen der Bibliothek angeboten. In solchen Fällen muss dann entschieden werden, ob das gesamte Nachlassmaterial für die Forschung relevant ist oder ob nur Teile davon übernommen werden sollen. Häufig erfolgt die Sortierung schon, bevor der Nachlass in den Besitz der Bibliothek übergeht oder, wird er komplett übernommen, sobald die Bearbeitung und Katalogisierung des Nachlasses beginnen. Eine meiner ersten Aufgaben im Praktikum war die Bearbeitung diverser Nachlässe in verschiedene Ordnungsstadien. Manche waren bereits gut vorsortiert, andere wurden vorher noch gar nicht durchgesehen.

In manchen Fällen wird für Nachlässe eine Sperrfrist aufgrund von Vorgaben des Urheberrechts oder Datenschutzes verhängt und die Benutzung kann nicht sofort beginnen. In diesen Fällen wird das Material gesperrt. Ein Beispiel dafür ist der Nachlass des Juristen Franz Wieacker (1908-1994), den ich in meinem Praktikum zuerst bearbeitet habe. Wieacker, seit 1953 Professor an der Universität Göttingen, war führend auf dem Gebiet der deutschen Rechtsgeschichte und arbeitete leidenschaftlich zur Geschichte der klassischen bis spätantiken Juristenschriften.
Restaurierung
Wenn das Material bisher nicht sorgsam aufbewahrt wurde (oder auch beschädigt ist), müssen Neuerwerbungen in die Restaurierungswerkstatt, um dort gereinigt und notfalls auch restauriert zu werden. Auch größere Schäden durch Wasser oder Schädlinge werden in der Restaurierung bearbeitet. Ich war jedoch nur kurz in der Restaurierungswerkstatt und habe dort ein Konvolut aus dem Bibliotheksarchiv reinigen und kleinere Risse kleben dürfen, was ich gut in einer Woche erledigen konnte.
Digitalisierung
Stark beschädigte oder auch sehr wertvolle Bücher werden häufig im Göttinger Digitalisierungszentrum digitalisiert, um so Schäden durch die Benutzung zu vermeiden. So wird der Inhalt gesichert, während das Trägermaterial nicht weiter beansprucht wird. Bücher werden auch im Rahmen von Projekten, wie dem Verzeichnis Deutscher Drucke des 18. Jahrhunderts (VD 18), digitalisiert. Wenn eine Nutzerin oder ein Nutzer dies speziell wünscht, dann kann über „DigiWunschbuch“ im Göttinger Universitätskatalog (GUK) ein Buch als Digitalisat bestellt werden. Und selbst wenn das Buch bereits digital verfügbar ist, kann in den meisten Fällen trotzdem das Original angefragt werden, wenn man sich beispielsweise für bestimmte Aspekte interessiert, die sich im Scan nicht erschließen, wie z. B. bei der Ermittlung der Lagenverteilung.
Je nach Beschaffenheit und Zustand des Buchs werden verschiedene Verfahren zur Digitalisierung angewandt. Manche Bücher kann man komplett aufklappen, andere nur bis zu einem bestimmten Öffnungswinkel. Dann kommt ein spezieller Buchspiegel zum Einsatz, der es ermöglicht, die Seiten aufzunehmen, ohne die Buchbindung und den Rücken weiter zu strapazieren.
In manchen Fällen kann es auch vorkommen, dass Teile des Texts durch Tintenflecke oder ähnliches überdeckt sind oder getilgt wurden. Dann müssen die Bilder noch einmal bearbeitet werden. In extremen Fällen kann nur die Multispektralkamera weiterhelfen, die durch bestimmte Lichtfrequenzen die Schichten des Beschreibstoffs gewissermaßen abtragen kann, um so Verborgenes wieder sichtbar zu machen.
Anschließend werden alle Seiten des Buchs mithilfe des Programms Goobi wieder in die richtige Reihenfolge gebracht und an die nächste Station übergeben. Denn nur Seiten einscannen, genügt oft nicht. Das Schöne bei digitalisierten Büchern ist, dass man durch sie beinahe wie analoge durchblättern kann. Dafür wird jedoch erst noch eine Struktur benötigt, in der festgelegt wird, welches Bild welcher Seite im Buch entspricht und wo Kapitel anfangen oder enden. Dies geschieht bei der sogenannten Strukturdatenerfassung, bei der ich im Laufe meines Praktikums ebenfalls kurz mitgeholfen habe. Das fertige digitale Buch erhält anschließend einen Verweis, der in die Katalogaufnahme des Buchs integriert wird. So können Nutzende, wenn sie das Buch entleihen möchte, sofort sehen, dass es bereits digital verfügbar ist.
Katalogisierung
Doch nicht nur der Hinweis auf das Digitalisat kann einer Katalogaufnahme entnommen werden. In diesen Datensätzen stehen alle Informationen, die entscheidend sind, um ein Medium aufzufinden. Kataloge und ihre Einträge sind somit wichtige Instrumente einer Bibliothek, da sie so den Zugang zu ihrer Sammlung ermöglichen. Während meines Praktikums war ich ebenfalls in der Katalogisierung tätig und habe dort von Schulprogrammsammlungen aus dem 19. Jahrhundert bis hin zu Neuzugängen für die Sammlung Deutscher Drucke des 18. Jahrhunderts viele verschiedene Fälle kennengelernt.
Neben allgemeinen Infos zu einem Werk steht in manchen Fällen auch im Katalog, wem ein Buch gehört hat, bevor es seinen Weg in den Bestand der Bibliothek gefunden hat. Solche Provenienzen lassen sich entweder über handschriftliche Besitzeinträge, Stempel einer anderen Bibliothek oder Exlibris ermitteln.
Im Fall der SUB Göttingen gibt es zusätzlich noch die Zugangsbücher, die sogenannten Manuale, in denen ehemalige Bibliothekare sorgsam die meisten Neuzugänge und auch die Art des Zugangs dokumentiert haben. Das Ziel ist es, all diese handschriftlichen Eintragungen aufzulösen und die Provenienz, falls noch nicht geschehen, in den Katalogaufnahmen zu ergänzen. Dabei habe ich ebenfalls stellenweise mitgeholfen. Dabei war es interessant zu sehen, von wo und aus wessen Besitz Bücher die Bibliothek erreicht haben.
Ein weiteres „Provenienz-Projekt“ ist das Provenienzdatenbank dar SUB Göttingen, in dem Besitzvermerke aus den Beständen der Bibliothek vom Mittelalter bis in die Moderne verzeichnet werden. Momentan befindet sich die Datenbank im Aufbau und ist noch nicht öffentlich zugänglich, da erst wenige Merkmale erfasst sind, die, unter anderem von mir, nach und nach ergänzt werden. Dabei bearbeitete ich vor allem Exlibris, kleine Bilder oder Wappen, die ein Besitzer oder eine Besitzerin in seine oder ihre Bücher klebte, um sie als Teil seiner oder ihrer Sammlung zu kennzeichnen. Dabei wählen viele Vorbesitzer und Vorbesitzerinnen Gegenstände und Motive, die ihre Interessen, ihren Beruf oder ihre Heimat widerspiegeln, zum Beispiel ein Globus und eine Landkarte für die Bibliothek eines Geographen.
Magazin
Neben dem Sammeln und Zugänglich-Machen spielen Verwahrung und Bestandserhaltung der Bücher im Bereich Spezialsammlung eine besonders wichtige Rolle. Denn auch wenn die Werke digitalisiert oder repariert werden können, ist die beste Methode der Konservierung immer noch eine Aufbewahrung, die für das Material am besten geeignet ist, wofür es Magazine mit dafür geeigneten klimatischen Bedingungen benötigt.
Magazine können sehr unterschiedlich gestaltet sein, angefangen damit, ob sie oberirdisch oder unterirdisch liegen. Beides hat seine Vor- und Nachteile. Während unterirdische Magazine (wie im Falle des Magazins der Zentralbibliothek) oft sicherer gegen Einflüsse oder Angriffe von außen sind, können durch die Nähe zum Grundwasser Probleme mit Schimmel oder durch weiche Böden mit Schräglagen und Rissen in den Wänden entstehen.
Oberirdische Magazine, wie der Heyne-Saal, haben jedoch das Problem des direkten Lichteinfalls, sodass mit der Zeit durch die UV-Strahlung das Papier stark schädigen kann. Schutzfolien helfen, sind jedoch keine Allzeitlösung, da sie in regelmäßigen Abständen ausgetauscht werden müssen.
Ein weiteres Problem, um das sich eine Bibliothek mit Sammelauftrag, wie die SUB Göttingen eine ist, Gedanken machen muss, ist ausreichend Platz, beziehungsweise wie sie welchen schaffen kann für immer wieder neu dazukommende Bücher. Sind die Regale eines Magazins gleichzeitig auch statisch wichtige Elemente und haben eine tragende Funktion, hat man nur wenig Spielraum und muss sich sehr genau überlegen, wie Nachlässe und Bücher gelagert werden, um im Nachhinein möglichst wenig rücken zu müssen. Kompaktusanlagen dagegen benötigen sehr viel weniger Platz für die gleiche Menge Bücher; diese Form der Magazinierung bedeutet aber auch für diejenigen, die bestellte Bücher ausheben, dass sie sich mit der Anlage sehr gut auskennen und im Magazin zurechtfinden müssen.
Während meiner Zeit hier habe ich viele spannende Tätigkeitsbereiche kennenlernen dürfen, die gemeinsam dazu beitragen, Wissen zu bewahren, um es an zukünftige Generationen weitergeben zu können. Es hat mir sehr gefallen, ein Teil des Teams der Spezialsammlung gewesen zu sein.
OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Lena Rust (31. Mai 2024). Der Weg eines Buches: vom Auktionshaus bis zum Magazin. Selten und Bemerkenswert . Abgerufen am 11. November 2025 von https://doi.org/10.58079/11rr9

