Wo ist Bismarck? Im Universitätsarchiv!

Bibliotheken besitzen nicht nur gedruckte Bücher. Zur SUB Göttingen gehört z. B. das Universitätsarchiv mit handschriftlichen Akten, Urkunden und Registern von der Gründung der Georg-August-Universität Göttingen bis heute.
Was heißt das? Auf Prüfungsakten und Doktorurkunden kommt man rasch, mit etwas Recherche auch auf Georg Augusts Gründungsprivileg für seine Universität, die Protokolle des Senats und vieles andere. Dazu zählen aber auch Dokumente untergegangener Einrichtungen wie des Universitätsgerichts. Dabei handelt es sich um 25 000 Prozessakten! Meistens geht es um die akademische Disziplin – um Studierende, die über die Stränge schlagen.
Man muss diese alten handschriftlichen Dokumente lesen können. Mit ein wenig Geduld ist das nicht schwer! Bekannte Namen können dabei als „Anker“ dienen. Ab dem 18. August können Sie selbst im Forum Wissen die Probe machen: Im Raum „Bibliothek“ finden Sie eine neu bestückte Vitrine mit einer Auswahl von Dokumenten, die den Namen eines der bekannteren Göttingen Studierenden tragen: Otto von Bismarck (Abb. 1). Finden Sie Bismarck auf jeder Seite?
Otto von Bismarck immatrikulierte sich am 10. Mai 1832 zum Jura-Studium an der Georg-August-Universität. Nach drei Semestern in Göttingen wechselte er nach Berlin. Seinem Göttinger Abgangszeugnis lässt sich deutlich entnehmen, dass der Studieneifer von Semester zu Semester zurückging (Abb. 2).
In der Zwischenzeit war der gerade einmal 17 Jahre alte Student in eine Verbindung eingetreten, das Corps Hannovera, und beteiligte sich eifrig an den Hauptbeschäftigungen vieler Studierender: Fechten und Trinken. Das belegen einige Einträge im Strafbuch der Universität (z. B. Abb. 3). Hier wurden alle Strafen eingetragen, die das mit Professoren besetzte Universitätsgericht wegen Disziplinlosigkeit oder ausgewachsenen Straftaten gegen Studierende verhängt hat.
Manchmal waren die Vergehen so gravierend, dass es zu regelrechten Verhören und Prozessen kam, über die umfangreiche Akten angelegt wurden – zu vergleichen mit heutigen Gerichtsakten. Anfang 1833 diente Bismarck als Unparteiischer in einem Pistolenduell zwischen dem britischen Studierenden Knight und einem durchreisenden Herrn von Grabow und musste dafür Rede und Antwort vor dem Universitätsgericht stehen (Abb. 4). Er habe die vereinbarten Bedingungen des Duells abgemildert und sei in die Sache eher hineingerutscht, rechtfertigte sich der spätere Politiker, und kam mit 10 Tagen im Karzer, dem Studierendengefängnis, davon. Es befand sich damals noch im Konzilienhaus an der Prinzenstraße, an der Stelle, an der sich heute die Fassade des Historischen Gebäudes der SUB erhebt.
Akten und Register verraten noch mehr über sein Studierendenleben. Weitere Dokumente sind in der Vitrine zu sehen. Flaschen aus dem Fenster im ersten Stock hat er geworfen, im Suff einen Kommilitonen zu Tode erschreckt – dann waren da weitere Duelle, viele Mensuren und ausgetretene Laternen. Damit war Bismarck aber längst nicht der tollkühne „Bursch“, zu dem ihn die Göttinger Legende stilisiert hat, sondern im Vergleich harmlos und unauffällig!
Brenzlig wurde es erst, als er in eine Fehde unter den Verbindungen hineingezogen wurde und das „Consilium abeundi“ erhielt. Das hieß, dass er beim nächsten Verstoß der Universität verwiesen würde. Deshalb verließ er Göttingen zum Wintersemester 1833/34 in Richtung Berlin, hatte aber die Rechnung im wahrsten Sinne des Wortes ohne den Wirt gemacht. Bismarck hatte nämlich wie viele Studierende Schulden. Der Gastwirt Michaelis ließ Bismarcks Zeugnis vom Universitätsgericht mit Arrest (Abb. 5) belegen: Erst nach Begleichung würde es ausgestellt werden, und solange konnte sich Bismarck in Berlin nicht immatrikulieren. So verbrachte der künftige „Eiserne Kanzler“ fast das ganze Wintersemester in fürchterlicher Langeweile, bis ein Corpsbruder endlich das Zeugnis ausgelöst hatte.
Bismarck war nur ein Studierender unter Tausenden, über die die Universität zu Gericht saß. Dank der Akten und Register, die heute im Universitätsarchiv liegen, können wir erstaunlich viel über ihr Leben in Göttingen und die zeitgenössischen Umstände in Erfahrung bringen. Es braucht nur ein wenig Geduld im Lesen der alten Schrift. Versuchen Sie es!
Vitrine im „Bücherturm“ des Forum Wissen
Berliner Straße 28, 37073 Göttingen
Öffnungszeiten: Di–So, 10:00 Uhr–18:00 Uhr
Zum Weiterlesen
- Otto Mejer, Aus der Reichskanzlers göttinger Studentenzeit, in: Ders., Kulturgeschichtliche Bilder aus Göttingen, Linden-Hannover: Manz 1889, S. 153-169.
- Walter Nissen, Otto von Bismarcks Göttinger Studentenjahre 1832-1833, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1982.
- Franz Stadtmüller. Otto v. Bismarck als Student in Göttingen 1832/33 und seine späteren Beziehungen zu seinem Corps Hannovera, zur Georgia Augusta und zur Stadt, in: Göttinger Jahrbuch 8 (1960), S. 104.
OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Holger Berwinkel (29. Juli 2025). Wo ist Bismarck? Im Universitätsarchiv! Selten und Bemerkenswert . Abgerufen am 11. November 2025 von https://doi.org/10.58079/14g4g




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